Meine Frau und ich konnten einen ganzen Tag einen Kia EV6 RWD und einen Mustang Mach-E AWD fahren und an dem Tag mehrmals zwischen beiden Autos wechseln. Mit beiden Autos sind wir sowohl im Stop-and-Go Stadtverkehr als auch auf der Landstraße und Autobahn außerhalb Berlins unterwegs gewesen.
Den EV6 hatte ich einmal auf der Straße gesehen und bei der Jahresinspektion meines e-Niro beim Autohändler näher angeschaut. Hat mir gut bis sehr gut gefallen. Daneben stand aber ein roter Mustang Mach-E, in den habe ich mich quasi auf den 1. Blick verliebt. Hammer Design und nach den ersten Begutachtungen deutlich größerer Frunk (selbst im AWD-Modell), größerer Kofferraum, etwas höherer Einstieg, dadurch für mich besser zum Ein- und Aussteigen geeignet und eine steilere Frontscheibe, durch die ich eine bessere Sicht nach vorne hatte. Hinzu kam das große, zentrale Mitteldisplay, was ich auf Anhieb gut bedienen konnte sowie das IMHO höherwertigere Innenraumdesign, fand ich sehr stimmig und gelungen. Auch Android Auto Wireless wurde unterstützt, was wünscht man sich mehr?
Vor der Probefahrt hatte ich also einen ganz klaren Favoriten. Nach der Probefahrt war der Mustang raus, für uns sogar sehr deutlich.
- das Fahrwerk war in der Stadt bei unseren Straßen zu polterig, der EV6 glitt da erheblich weniger spürbar rüber
- die Geräuschdämmung schlechter als im EV6
- ein sanftes Anfahren selbst im Sanft-Modus kaum möglich (so gut wie kein Unterschied zwischen den Modi Sanft/Aktiv/Temperamentvoll zu bemerken, selbst in Sanft ein kleines bisschen zu weit das Strompedal getreten und bäm, macht man einen Satz über die Kreuzung)
- im One-Pedal-Modus gab es beim Losfahren einen leicht hör- und spürbaren Ruck, so als ob der e-Motor zuerst Strom bekommt und erst danach die Handbremse gelöst wird (das war im Stop-and-Go dermaßen störend, war tatsächlich einer meiner größten Kritikpunkte, da ich auf Auto-Hold bzw. den One-Pedal-Modus nicht verzichten will, was im Mustang übrigens hervorragend personalisierbar war, da findet wahrscheinlich wirklich jeder seine bevorzugten Einstellungen!)
- vorderer e-Motor immer zu hören, beim Anfahren als leicht mahlendes Geräusch, bei Geschwindigkeiten ab 50/60 km/h als hohes surrendes Pfeifen (leise aber wahrnehmbar und ja, das simulierte Motorgeräusch im Innenraum war ausgeschaltet!)
- keine Wärmepumpe (die Ineffizienz versucht er eben mit einen größeren Akku zu kompensieren), nicht einmal optional
Wie ich nach intensivier Recherche nun auch noch feststellen konnte: Die 77,4 kWh Batterie des EV6 AWD ist bei Kia die Brutto-Angabe, netto sind nur ca. 72,5 nutzbar. Bei einer Google-Suche findet man widersprüchliche Angaben, aber Kia Deutschland hat es bestätigt und bei einem Akku-Vergleich zwischen Hyundai Ioniq 5 und Kia EV6 war das Ergebnis eindeutig:
"Beim gestrigen Test-Event zum Kia EV6 in Saarlouis haben wir nachgefragt, ob es sich bei den angegebenen Akkukapazitäten um Netto- oder Brutto-Kapazitäten handelt. Laut Kia handelt es sich um Nennkapazitäten, die nutzbare Kapazität soll jeweils ein paar Prozentpunkte kleiner sein. Bei den Batteriegrößen von 58,0 kWh, 72,6 kWh und 77,4 kWh handelt es sich demnach um die Gesamtkapazitäten."
Quelle:
insideevs.de/news/540362/e-gmp-batteriegrossen-module-aufbau/
ev-database.de/pkw/1481/Kia-EV6-77-kWh-RWD
Angesichts dieser nur 72,5 nutzbaren Kapazität ist der EV6 in den beiden Konfigurationen mit dem großen Akku effizienter als der Mustang:
EV6 RWD - großer Akku (72,5 kWh): 528 km -> 7,28 km pro kWh
EV6 AWD - großer Akku (72,5 kWh): 506 km -> 6,98 km pro kWh
Mustang RWD - großer Akku (88 kWh): 610 km -> 6,93 km pro kWh
Mustang AWD - großer Akku (88 kWh): 540 km -> 6,14 km pro kWh
Der Mustang erkauft sich seine größere Reichweite durch seine erheblich größere Batterie mit 98,7 kWh Brutto, er ist eben einfach etwas schwerer und höher. Ob nun ca. 93,7% (EV6) oder "nur" ca. 92,2% (Mustang) der Bruttokapazität (zur Verlängerung der Lebensdauer der Batterie) genutzt werden dürfte in der Praxis vernachlässigbar sein, da man e-Autos eh nur selten bis 100% lädt.
Für meine Frau und mich (wir haben bei der Probefahrt beide mehrmals den Fahrersitzt gewechselt) war die Fahrt im EV6 spürbar komfortabler und entspannter, das hätten wir so vorher nicht erwartet. Hinzu kamen viele Details, die wirklich gut umgesetzt bzw. gelöst waren (z.B. kann man den Blickwinkel der 360° Kamera auf die hinteren Felgen richten, d.h. man kann Zentimetergenau einparken, ohne die Felgen zu zerkratzen; beim Blinken eine Einblendung der Kamera des Toten Winkels in die Tachoanzeige; ein sehr schönes HUD; usw.). Für mich war der erheblich kleinere Frunk im EV6-AWD-Modell sowie fehlendes Android Auto Wireless (kabelgebunden geht, zum Glück gibt es den hervorragend funktionierenden AAWireless-Adapter über Kickstarter, ich habe früh genug bestellt
Aus meiner Erfahrung mit dem e-Niro wusste ich, dass die App-Anbindung bei Kia in der Praxis einfach nur funktioniert. Im Winter vorheizen, im Sommer vorher kühlen, dutzende Male habe ich das benutzt. Beim Mustang scheint es erheblich öfters dazu zu kommen, dass das Auto schon wenige Minuten bis Stunden nach dem Abschließen in eine Art Tiefschlafmodus geht und nicht mehr von Außen per App erreichbar ist, also nix mit Vor-Klimatisieren. Keine Ahnung, wie oft das in der Praxis wirklich vorkommt und mit Sicherheit wird Ford das per Firmwareupdate lösen können, aber wenige sind von dem Problem leider nicht betroffen. Das würde mich schon nerven, dazu habe ich es beim e-Niro zu oft verwendet.