Ich habe eine günstige Gelegenheit genutzt und zwei Tage lang ein älteres Model 3 in meinen Alltag eingebunden. Einer der ersten, also Made in USA (die aktuellen kommen aus China), 120.000 Kilometer in ganz furchtbarer Nicht-Farbe: Außen grau, innen schwarz - schauderhaft. Dafür hatte ich aber ausreichend Gelegenheit, ihn komplett durchzukonfigurieren und auch die etwas weniger offensichtlichen Funktionen auszuprobieren.
Was ich vom Auto selbst halte, steht ja schon weiter vorne: Mäßige Raumnutzung, tiefer und damit schlechter Ein-/Ausstieg für ältere Leute (trotz "Easy Entry"-Profil) und leider keine Heckklappe. Tesla macht alles anders und vieles davon tatsächlich sehr viel besser. Doch nicht alles, was anders ist, ist auch automatisch eine gute Idee. Beispiele: Unpraktische mechanische Türöffner, viele eigentlich überflüssige Aktuatoren an Bord, keine Schalter, rahmenlose Fenster.
Selbst häufig genutzte Funktionen sind nur per Display oder günstigstenfalls per Sprachkommando erreichbar. Weder regt mich das übermäßig auf noch will ich darauf herumreiten, aber ganz ehrlich: Ich finde es nach wie vor total lächerlich, einen Knopf auf dem Lenkrad drücken und
"Handschuhfach öffnen" sagen zu müssen - statt einfach einen Knopf auf dem Handschuhfach drücken zu können, der dasselbe bewirkt. Nur eben schneller und einfacher. Ich bin wohl zu alt für so viel Fortschritt.
Allerdings sind das alles Dinge, mit denen man leben kann, sofern der Rest passt.
Ja, und da muss ich dann doch ein großes Lob an Tesla aussprechen. Ich verstehe ziemlich gut, warum das Auto gekauft wird wie doof - es ist in der Summe seiner Eigenschaften praktisch konkurrenzlos. Das fängt bei dem großartigen User Interface an, geht weiter über die beeindruckende Funktionalität des erweiterten Autopiloten bis zum Fahrgefühl: Direkt wie in einem Gokart, nur sehr viel präziser und komfortabler. Wie das Auto um die Kurven wuselt, ist die absolute Schau. Das kenne ich eigentlich nur von Vaters früheren 911ern und einigen anderen flachen Sportwagen, die mir heute eher peinlich wären.
Auf das Model 3 trifft das nicht zu. Das ist nämlich der Wolf im Schafspelz, dem man nicht ansieht, wie performant er ist. Ich hatte ein LR-Modell, also nichtmal die stärkste Variante, sondern "nur" 440 Elektro-PS. Das Teil drückt dermaßen, das glaubt man nicht. Der Hinterkopf knallt gegen die Kopfstütze, wenn man unvorsichtigerweise das Strompedal durchdrückt.
Dies aber - und das ist der eigentliche Gag - ohne jedes Wackeln, Leichtwerden oder Durchdrehen: Das Model 3 bringt mit einem dezenten Sirren übergangslos seine Leistung voll auf die Straße, ohne auch nur zu zucken. Das ist nicht einfach nur beeindruckend - es hat mich ein paar Mal kopfschüttelnd grinsen lassen. Sehr viel mehr sogar, als all die tollen teuren und oft übermotorisierten Autos meiner automobilen Vergangenheit nebst diverser Jugendsünden mit 6 und 8 Zylindern.
Obwohl es ein Genuss ohne Reue ist (dazu gleich mehr), muss ich das nicht wirklich haben. Wer mich ein bisschen kennt, der weiß das. Daher habe ich auch sehr bald per Menü die Leistung gedrosselt, ohne zu wissen, wie viel übrig bleibt. Das weiß ich noch immer nicht, aber es ist reichlich.
Der Autopilot ist nicht einfach nur eine Kombination aus Abstandstempomat und Spurhalteassistent, sondern kann mittlerweile schon sehr viel mehr - obwohl er in Europa durch gesetzliche Vorgaben kastriert ist. Trotzdem fährt er einigermaßen sauber von Autobahnen und Bundesstraßen ab und kann sogar selbsttätig von einer auf eine andere Autobahn wechseln. Dabei setzt er rechtzeitig vor der Abfahrt den Blinker, bremst vor Kurven ausreichend ab und schert auch wieder ein.
Ich habe das alles ausprobiert und es funktioniert, aber noch immer fahre ich solche Manöver lieber selbst. Trotzdem, ziemlich beeindruckend. Noch mehr, wenn man sieht, was das System eigentlich kann, wenn man es nur lässt (Videos von amerikanischen Beta-Testern). Aber auch die schaumgebremste Europa-Version kann schon viel, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass Perfektion und völlige Fehlerfreiheit auf öffentlichen Straßen eine Wunschvorstellung bleiben.
Bei so viel Text zum Auflockern ein kleiner Einblick:
Das Bild zeigt folgende Situation: Ich fahre mit Autopilot auf der Bundesstraße 9. Die Navigation ist aktiv und das Model 3 schlägt mir vor, den weiter vorne fahrenden LKW zu überholen. Dazu erbittet es meine Zustimmung und zeigt mir gleichzeitig das Live-Kamerabild von der linken Spur hinter mir (bei den neueren Modellen übrigens in korrekter Farbe, bei den älteren in Sepia).
Ein bisschen später sah es dann so aus:
Hier ist zu sehen, dass der Autopilot weiter der aktiven Navigation, folgt, was durch die zusätzliche blaue Linie in Fahrtrichtung symbolisiert wird. Ein Auto nähert sich auf der linken Spur von hinten und wird mich gleich überholen. In 9,1 Kilometern wird mein Model 3 selbsttätig die B9 verlassen und auf deren Fortführung wechseln. Das wird durch den blauen Abbiegepfeil symbolisiert.
Schick auch, dass man per App Echtzeit-Zugriff auf vier Bordkameras hat und sich damit die Umgebung des Fahrzeugs jederzeit live anzeigen lassen kann, auch vom anderen Ende der Welt. Von den vielen weiteren Remote-Funktionen nicht zu reden: Beispielsweise kann man das Auto zu sich heranrufen, das Ladelimit und sogar die Ladeleistung in 1-Ampere-Schritten auch aus der Ferne verändern und vieles, vieles mehr. Während sich die meisten Konkurrenten mir einer ziemlich lahmarschigen V2U-Kommunikation mit mäßigem Funktionsumfang begnügen, bietet Tesla schon seit 10 Jahren VPN-Tunnelung mit Echtzeit-Zugriff, gebremst allenfalls durch Latenzen im Mobilfunknetz.
Das alles macht schon mächtig Laune, kann ich nicht anders sagen. Ja, und nun wie versprochen noch zum Thema "Genuss ohne Reue": Damit meinte ich nicht nur das angemessene Preis-/Leistungs-Verhältnis. Als ich das Auto nach 233 Kilometern seinem Besitzer zurückgegeben habe, sah die Auswertung so aus:
Tja, was soll ich sagen.
So sieht die automobile Gegenwart aus, wenn man will. Man kann stattdessen natürlich auch weiterhin fünfmal mehr Energie in einen Bruchteil der Fahrleistungen stecken, vom Komfort gar nicht zu reden.
Das nur so als kleiner Ausflug in die aktuelle Teslawelt. Ich hätte ja schon Lust darauf, zugegeben. Aber ich tue mir schwer mit dem Model 3 (keine Heckklappe) und leider auch mit dem Model Y (zu groß). Übrigens fährt Tesla im Moment die Strategie, den Preisunterschied zwischen den beiden Typen gezielt klein zu halten, was darauf schließen lässt, dass man bevorzugt Model Y verkaufen möchte. Die sollen schon im vierten Quartal nicht mehr aus China, sondern aus Grünheide kommen. Wie bei jeder frisch anlaufenden Produktion muss das aber nicht unbedingt Vorteile mit sich bringen.
Grüße, Egon