Vorgestern habe ich einen Freund zum lokalen Tesla-Servicecenter begleitet. Er interessiert sich für ein Model 3 und natürlich bin ich nicht ganz ohne Eigennutz mitgegangen: Eine günstige Gelegenheit, Modelle aus neuerer Produktion in Augenschein zu nehmen.
Es ist derzeit billiger, einen Neuwagen zu bestellen als einen Gebrauchtwagen zu kaufen. Bis zu anderthalb Jahre alte gebrauchte Teslas werden teils deutlich über Neupreis abzüglich Förderung gehandelt. Das wundert mich, denn im Gegensatz zu anderen Marken hat Tesla keine abwegigen Lieferzeiten, weder bei Model 3 noch Y. Es ist aber trotzdem so, vermutlich der Dänemark-Effekt.
Als ehemaliger Tesla-Fahrer vergleiche ich naturgemäß mit meinen Erlebnissen der Jahre 2016 bis 2021 und kann daher einige Unterschiede feststellen. Noch immer macht Tesla so ziemlich alles anders als alle anderen Hersteller. Doch in einigen wenigen Punkten hat man sich den hiesigen Gepflogenheiten zumindest angenähert.
Zum Beispiel war es jahrelang praktisch ausgeschlossen, vor dem Kauf eine offizielle Probefahrt zu machen. Keine Autos, kein Interesse, Abwimmeln. Tesla setzt konsequent auf Kaufabwicklung per Internet und unterhält keine Autohäuser im klassischen Sinn.
Kommt man aber heute in ein Servicecenter und interessiert sich, bekommt man eine (auf 45-Minuten beschränkte) Probefahrt geradezu aufgedrängt. Dazu werden sogar Autos vor Ort vorgehalten. Außerdem gibt es dort Leute, mit denen man seine Wunsch-Konfiguration durchführen kann, was man freilich genausogut zu Hause im Web erledigen könnte. In diesem Punkt hat man sich also in den letzten Jahren um 180 Grad gedreht, vermutlich um auch die weniger Internet-affine Kundschaft anzusprechen.
Andere Dinge änderten sich hingegen überhaupt nicht. Die konsequente Fokussierung aller nur denkbaren Vorgänge per EDV wurde eher noch verstärkt. Es findet kein Handschlag statt, ohne dass er nicht im Hintergrund in Tesla-internen Systemen abgebildet wird. Über jeden einzelnen Schritt, jede Änderung eines aktuellen Status wird man als Kunde automatisch per E-Mail oder SMS informiert, egal ob Probefahrt oder Werkstatt oder Terminvereinbarung oder sonstwas. Der Einsatz von Papier wird vermieden, wo immer das geht.
Auch die interne Kommunikation ist so ausgelegt: Beispielweise werden Mitarbeiter von anderen Mitarbeitern per Tablet oder Terminal gerufen, falls erforderlich. Das war alles schon vor Jahren so, wirkt aber mittlerweile noch perfektionierter, ausgereifter, konsequenter.
Nicht verändert haben sich Dinge, die unweigerlich Zweifel an einer funktionierenden Qualitätskontrolle aufkommen lassen. So standen neben den Probefahrt-Autos zwei nicht im Einsatz befindliche Fahrzeuge nur zum Angucken, Probesitzen und Herumspielen in den Innenräumen bereit: Ein Model 3 und ein Model Y, Kilometerstand 10.
Am ausgestellten Model 3 war die Heckklappe fehlerhaft eingepasst, was durch eine schiefe, deutlich von den umgebenden Teilen erhobene und mehrere Zentimeter (!) abstehenden Strebe oben links (gemeint ist der in die Karosserie reichende linke Ausleger der Klappe) beim besten Willen nicht zu übersehen war. Wäre es ein Gebrauchter, hätte ich auf einen unreparierten Heckschaden getippt.
Das Model Y aus chinesischer Produktion wirkte hingegen optisch absolut perfekt, innen wie außen. Wenn... ja wenn nicht die hintere rechte Seitenscheibe gefehlt hätte.
Vermutlich ist sie in der Tür verschwunden, jedenfalls lief der Scheibenheber-Motor tadellos in beiden Richtungen, nur kam die Scheibe halt nicht mehr raus.
Wie kann man Autos mit derart offensichtlichen Mängeln zu Werbezwecken ausstellen, ohne sie zuvor in der hauseigenen Werkstatt zu reparieren? Die Antwort liegt auf der Hand: Das kann man, weil man Tesla ist und so oder so die Bude eingerannt bekommt. Es ging dort zu wie im Ameisenhaufen, an einem ganz normalen Werktag. Die verkaufen alleine an diesem Standort jede Woche Dutzende von Autos und befassen sich in erster Linie damit, die nicht abreißenden Besucherströme irgendwie organisatorisch zu kanalisieren. Da gehen solche Details einfach unter, abgesehen davon, dass sie offenbar nur bei alten Leuten wie mir für negative Gedanken sorgen.
Nun aber zur Probefahrt: Ein Model 3 LR mit allen Paketen inklusive FSD, dunkelgrau, verschrammte Felgen und Abplatzer an den Türkanten rundum, aber relativ wenige Gebrauchsspuren im robust und sehr gut verarbeitet wirkenden Innenraum. Zu kleine Fensterflächen für die Fahrzeuggröße, aber tolles Raumgefühl durch das riesige getönte Glasdach. Objektiv genug Platz auch für kräftige und große Personen, auch hinten.
Großer Kofferraum mit tiefem Kellerfach hinten, gar nicht so kleiner zweiter Kofferraum vorne ("Frunk"). Leider keine Heckklappe, aber ziemlich große Öffnung und uneingeschränkte Durchlade. Kühlschranktransport kann man zwar vergessen, aber Baumarkttauglichkeit ist durchaus gegeben.
Fahrgefühl, Performance, Funktionalität und Ausstattung sind über alle Zweifel erhaben. Das Auto liegt satt auf der Straße, die Fahrleistungen sind schlicht beeindruckend. Selbst per Menü auf "Lässig" surrt das Auto lautlos wie vom Katapult abgeschossen davon. Ohne quietschende Räder oder Ausbrechen - einfach nur sssssst, und weg ist man. Obwohl mein Kumpel das Ding mehrfach ordentlich getreten hat, standen zum Schluss 15,2 kWh/100 km in der umfangreichen Auswertung auf dem Display. Effizient ist die Kiste also auch noch.
Da ich hauptsächlich Beifahrer war, konnte ich viel mit dem Bildschirm herumspielen. Im Stand habe ich ein Youtube-Video in hoher Auflösung angeschaut, die serienmäßige Soundanlage mit Sub kann bei Bedarf die inneren Organe durchschütteln, das Navi ist schnell und gut. Es gibt vollen Zugriff auf Spotify und andere Dienste, auf Internet-Radio (TuneIn), dazu ein halbwegs brauchbarer Browser, viele aufwendige Spiele und anderes Zeug. Volles Programm fürs Entertainment. Die Rechenleistung ist an dieser Stelle ausreichend, mehr aber nicht. Es dürfte also gerne noch etwas mehr sein, aber das ist natürlich immer so.
Der Autopilot arbeitete prima, im Rahmen seiner ihm in Europa gesetzlich auferlegten Einschränkungen. Es waren aber nur 40 Kilometer Testfahrt. Die Verkehrszeichenerkennung ist höchstens mittelmäßig. Die Spracheingabe erkennt praktisch jedes vernuschelte Wort (wird im Klartext auf dem Display mitgeschrieben), aber in der treffsicheren Umsetzung gibt es noch immer Defizite. Die Kamerabilder der Fahrten werden auf Wunsch auf einen USB-Stick aufgezeichnet und lassen sich sogar aus mehreren Blickwinkeln abspielen. Überall im Auto sind USB C-Anschlüsse, auch hinten und sogar im Dachhimmel.
Das schalterlose Bedienkonzept ist übertrieben konsequent umgesetzt: Möchte man zum Beispiel das Lenkrad oder einen Spiegel verstellen, muss man sich die entsprechende Funktionalität zuvor per Menü auf das linke Scrollrad im Lenkrad legen. Dreht man daran, wird dann eben das Lenkrad oder der Spiegel bewegt, je nach vorheriger Auswahl. Das funktioniert eigentlich gut, erfordert aber im Vergleich zu einem separaten Schalter einen Bedienschritt mehr und sorgt so beim Fahren für unnötige Ablenkung. Dasselbe gilt für das Öffnen des Handschuhfachs, für Klima- und Sitz-/Fenster-/Spiegel-Heizungen und andere Dinge. Kann man so machen und man gewöhnt sich schnell daran, aber separate Schalter haben neben dem Nachteil ihrer Existenz eben auch unbestreitbare Vorteile.
Man sitzt eher tief im Model 3, in dieser Beziehung erinnert es mich an den aktuellen BMW 3er. Insbesondere ältere Menschen werden daran wenig Freude haben. Vor allem, wenn man die Fahrertür gerade nicht ganz öffnen kann, muss man einen sportlich-schlanken Körper haben, um halbwegs schmerzfrei ein- oder auszusteigen. Das leider in jeder Beziehung deutlich größere Model Y ist hier sehr viel besser, einfach weil es höher ist.
Die Türöffner gefallen mir nicht, weder innen noch außen. Das Auto erkennt das eigene Smartphone. Dann drückt man auf das dicke Ende der versenkten Griffe, worauf die Tür entriegelt und per Aktuator ein kleines Stück aufspringt. Am dann ausgeklappten Griff kann man sie aufziehen. Innen wird sie per Tastendruck in der Tür entriegelt, auch dann springt sie ein kleines Stück auf, gleichzeitig werden die rahmenlosen Seitenscheiben ein kleines Stück heruntergefahren.
Funktioniert das? Ja klar, das funktioniert prima. Und ist es sinnvoll? Hmja. Ganz ehrlich? Eigentlich nicht. Bügelgriffe hätten es auch getan, wären mechanisch sehr viel einfacher und mutmaßlich langlebiger. Aber Tesla hatte schon immer die Neigung, vieles mit Aktuatoren zu realisieren. Beispielsweise auch die Entriegelung der Rückenlehnen im Model Y und in allen Modellen die Haubenentriegelungen.
Zu den Lieferzeiten, ohne Gewähr und inoffiziell (Verkaufsgespräch mitgehört):
- Model 3 SR kommt aus China mit LFP-Akku, Modell 3 LR und P ebenfalls aus China, aber mit NMC-Akku. Offiziell 3. Quartal, inoffiziell eher schon 2. Quartal 2022.
- Model Y, alle mit NMC-Akku, kommen aktuell noch aus China und auch schon im 2. Quartal. Bestellungen lassen sich aber auf Wunsch schieben, weil im 3. Quartal schon aus Grünheide ausgeliefert werden soll. Die ersten Model Y aus Grünheide sind zunächst aber nur in Weiß und Schwarz lieferbar, die anderen Farben folgen erst später.
In Summe bleibe ich bei meiner Aussage: Was Tesla kann, das kann nur Tesla. Für praktisch jede Eigenschaft wird man ein überlegenes Modell eines Mitbewerbers finden, aber als Gesamtpaket, zu diesem Preis und tatsächlich lieferbar - da landet man unweigerlich bei Tesla.
Das EDV-Grundkonzept ist unerreicht, wozu Punkte wie beispielsweise Fleet Learning, Echtzeit-Zugriff auf das Fahrzeug und dergleichen zählen. Vor allem auch Dinge, die hinter den Kulissen ablaufen. Ich stehe ja eher nicht im Verdacht, ein Tesla-Fanboy zu sein, aber wenn man technisch interessiert ist und etwas genauer hinschaut, ist der jahrelange Vorsprung auf die Mitbewerber nicht zu übersehen. Schade, dass es noch lange Zeit nichts unter 4,70 Meter Länge geben wird.
Grüße, Egon