Sodele, bin soeben zurück von meiner "Testwoche" mit dem Model S und erlaube mir in diesem Thread ganz ungefragt meine noch frischen Eindrücke wiederzugeben.
Ausgangslage:
Seit nunmehr sechs Jahren Prius 3 aus Überzeugung, seit zwei Jahren Plug in und seitdem immer mehr infiziert vom e-Auto-Virus. Das Model S war und ist für mich
state of the art (das Model 3 zu reservieren war daher selbstverständlich).
Dennoch, das eigentliche Objekt der Begierde bleibt das Model S. Einziger Haken an der Sache: Bekanntlich ist das Model S ein nicht ganz günstiges Vergnügen. Nun hat mich die Möglichkeit ein Model S für eine Woche (konkurrenzlos günstig) mieten zu können dazu bewogen, im Rahmen einer kurzen Familienurlaubsreise nach Oberbayern eine ziemlich umfassende Evaluation durchzuführen, um beurteilen zu können, ob das Model S zu uns passt bzw. dereinst unseren Prius PiH ersetzen könnte.
Um es kurz zu machen:
Wie erwartet ist das Model S als Gesamtkonzept einfach ein sensationelles Auto. Was vor allem hängen blieb: Die immer wieder von Neuem berauschende Beschleunigung, die spielerisch-intuitive Bedienung über das zentrale Display, die perfekte Langstreckentauglichkeit durch das einzigartige Supercharger-Konzept (bis zu 600km/h Ladegeschwindigkeit), die üppigen Platzverhältnisse für Gepäck und Passagiere und natürlich diese gewisse Sexyness, die diesem Wagen einfach anhaftet. Daneben wirken die ganzen 911er, A7er und Power-SUVs einfach nur prollig.
Mein
Fazit nach einer Woche intensiven Testens im "gemischten Alltagsbetrieb" (viel Autobahn, Überlandstrecken im Chiemgau, Münchner Innenstadt mit engen Parkhäusern, Bergfahrten im traumhaften Walliser Turtmanntal): Das Model S ist ein enorm charakterstarkes, ein (im Guten wie im Schlechten) sehr amerikanisches Auto, eine Mischung aus exotischem Boliden und kapriziöser Diva, ein futuristischer Grand Turismo, aber ohne dessen typische maskuline Attribute wie dicke Auspuffrohre, fette Schlappen und martialische Spoiler. Understatement pur.
Ein Wort zum
Autopiloten: Im Prinzip eine klasse Sache, funktioniert zuverlässig. Auf der AB den Tempomaten auf 150km/h gesetzt wird
hands-free driving nach kurzer Eingewöhnungsphase zur selbstverständlichsten Sache der Welt. Leider hat der Spurwechselassistent (durch Antippen des Blinkerhebels) nicht funktioniert; vielleicht habe ich aber einfach nicht verstanden, wie dieser zu aktivieren wäre. Trotzdem: Für mich unterm Strich eher eine Spielerei mit grossem Showeffekt-Faktor als eine echte Notwendigkeit.
Aber das Auto hat auch (durchaus ärgerliche)
Schwächen:
- Die Türen schliessen jämmerlich blechern und die rahmenlosen Seitenfenster dichten schlecht ab
- Im Innenraum gibt es weder Haltegriffe noch Türablagen und auch keine Mittelarmlehne hinten
- Leuchtweite und -homogenität der Scheinwerfer ist nicht premium-like
- Die Kopffreiheit auf den vorderen Plätzen ist sehr knapp (und ich bin "nur" 1.85)
- Die Heizung ist ein Witz, dafür verbrennt einem die Sitzheizung auf Stufe 3 nach Sekunden den A…
- Die Abhängigkeit einer stabilen Internetverbindung für Navi (Trip-Planner) und Radio (Spotify, TuneIn) ist nicht optimal: Manchmal ist die Google-Karte minutenlang offline oder das Internetradio fällt aus
- Die Spaltmasse der Karosserie sind an manchen Stellen erschreckend breit und ungleichmässig, der Frunk schliesst sich wie ein verzogener Bauernschrank
- Die Materialanmutung und Verarbeitungsqualität im Innenraum ist der 100'000-Euro-Liga kaum würdig
Zu den oben aufgeführten Qualitätsmängeln ist allerdings anzumerken, dass es sich bei diesem Model S (aufgrund des günstigen Mietpreises) um einen seit zwei Jahren sehr gut gebuchten Mietwagen handelt, der wohl schon so einiges mitmachen musste. Der km-Stand betrug knapp 75'000 und der eine oder andere Mängel ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass es sich hier nicht um ein scheckheftgepflegtes Fahrzeug aus erster Hand, sondern eben um ein Testobjekt für allerlei Kundschaft handelt, das schon etliche Male ziemlich "durchgeprügelt" wurde. Vielleicht teilt ihr Model S-Besitzer (Solaris, e-motion, …?) da draussen nicht jeden Kritikpunkt, was mich durchaus beruhigen würde.
Nun, wie weiter? Das Model S bleibt für mich auf dem Schirm, zumal mit dem aktuellen Facelift wieder viel Detailverbesserungen eingebracht wurden. Ob das Model 3 in ferner Zukunft tatsächlich eine Alternative für mich sein wird, wage ich Moment noch zu bezweifeln. Die wohl deutlich bescheideneren Platzverhältnisse und spürbar geringere Reichweite könnten hier zu Killerkriterien werden. Dem Prius Prime gebe ich noch eine Chance, aber dieses Design...
Mein
Suchprofil sieht so aus: Gebrauchtes Model S 70 oder 85 mit weniger als 50'000km, dunkle Farbe, Luftfederung und (wohl oder übel auch) Autopilot ein Muss. Was ich nicht brauche: Dual-Motor (Sinn erschliesst sich mir nicht, Frunk wird viel kleiner), Panoramadach (ist hübsch, aber bringt keine echten Vorteile). Das Ganze möglichst um die 60-65k, dann könnte ich schwach werden.
P.S.
Heute früh wieder im kreuzbraven Prius unterwegs kommt schon etwas Melancholie auf – wieder zurück auf dem Boden der bodenständigen, grundzuverlässigen, aber doch ziemlich emotionslosen Toyotawelt…