TF104 schrieb:
Du schreibst das es im Schiff und im LKW Sinn macht, im PKW Bereich nicht. Warum?
Zuerst denke ich dabei gar nicht an LKW, sondern beispielsweise an nicht elektrifizierte Bahnstrecken. Es erscheint naheliegend, die bisher eingesetzten Diesel-Loks nach und nach durch solche mit H2-Brennstoffzelle zu ersetzen
Ähnlich sehe ich das bei der Binnenschifffahrt, doch wird hier niemand die Umrüstungskosten tragen wollen. Ich befürchte daher, dass wir in der Schifffahrt noch sehr lange nicht von Mineralölen als Energieträger wegkommen werden.
Weit kritischer sehe ich das beim Schwerlastverkehr auf der Straße. Generell erscheinen zwar H2-Trucks wahrscheinlicher als Akku-LKW. Die Voraussetzung selbst für einen kleinen Teil des in Mitteleuropa üblichen LKW-Verkehrs ist aber ein leistungsfähiges Tankstellennetz, wobei die einzelnen Zapfstellen deutlich mehr als 2 LKW pro Stunde schaffen müssen - und vor allem mehr als einen LKW zeitgleich. Das ist aktuell nicht der Fall.
Ein weiterer Aspekt ist der Transport des Wasserstoffs zu den Tankstellen. Das funktioniert bislang deshalb, weil nur sehr geringe Mengen erforderlich sind und die Abnehmer die Kosten dafür nicht tragen müssen. In größerem Maßstab funktioniert das so aber nicht mehr, denn auch ein großer LKW kann nur eine vergleichsweise kleine Menge Wasserstoff transportieren und ein Transport als Beimischung in Erdgas-Pipelines ist hochproblematisch (eigenes Thema; würde hier den Rahmen sprengen).
Bitte in Erinnerung rufen: Wir sprechen nicht von Mineralöl! Wasserstoff ist hinsichtlich seiner Distribution, Lagerung und Betankung ein weit, weit anspruchsvollerer Energieträger als Benzin, Diesel, Erdgas oder Flüssiggas.
TF104 schrieb:
Gerade weil dieser Aufwand notwenig ist sollte die Masse der Fahrzeuge dies nutzen können. Die so aufwändig produzierten Wasserstoffmengen nur für LKW produzieren wäre äußerst unwirtschaftlich.
Ja sicher. Wenn ein ausreichend leistungsfähiges Netz aufgebaut wäre, sollte es auch für alle zur Verfügung stehen. Dazu ist dann wiederum Voraussetzung, dass PKW an LKW-Tankstellen H2 zapfen können, was wegen unterschiedlicher Drücke derzeit so nicht gegeben ist. Auch das Thema Teilbetankungen rückt dann wieder in den Fokus, welches bei H2 nicht unproblematisch ist. Das sind aber prinzipiell technisch wenn nicht lösbare, so zumindest verbesserungsfähige Details.
Ein sehr viel problematischerer Aspekt ist die oft angesprochene Effizienz. Die ganze Wasserstoff-Idee basiert darauf, dass Wasserstoff als Puffermedium zum Zwischenspeichern von Überschuss-Strom aus erneuerbaren Energien notwendig und daher mit relativ geringen Kosten herstellbar ist. TF104 hat es zutreffend zusammengefasst:
Auf jeden Fall kann man mit erneuerbaren Energien stetig diesen Wasserstoff produzieren. Den man dann so abgibt wie er für den Individualverkehr gebraucht wird.
Die Realität jedoch ist, dass Energie für Endverbraucher irre teuer ist und wir den halben Tag lang über Energie-Effizienz debattieren. Wir tauschen alte Kühlschränke aus, ersetzen Leuchtmittel, dämmen Gebäude und freuen uns über jeden viertel Liter weniger Spritverbrauch. Aber bei der Wasserstoff-Erzeugung, dessen Lagerung, der Distributionskette bis hin zu jedem einzelnen abwegig stromhungrigen Betankungsvorgang akzeptieren wir Energieverschwendung in riesigem Ausmaß als Grundvoraussetzung? Wie passt das zusammen?
dukesim hat dazu bereits vor einigen Monaten folgende Antwort gegeben:
Man sollte sich durch diese Nebenschauplätze aber nicht vom Kern ablenken lassen: Saisonale Pufferung. Damit steht und fällt das Energiesystem. [...] Hier verliert auch der Wirkungsgrad eines nominal laufenden Systemteils seine Bedeutung. [...] Wenn man das gepufferte G nicht direkt tanken will, dann muss man es eben zentral wieder zu Strom wandeln.
Meine Schlussfolgerung daraus lautet: H2 als Puffermedium ja, aber eine H2-Distribution zum Antrieb von PKW eher Nein. Oder eben nur dort, wo es auch energetisch halbwegs sinnvoll erscheint. Das ist dort der Fall, wo die Wasserstofferzeugung zu Pufferzwecken notwendig ist, also eben dort wo er direkt aus Überschussenergie erzeugt wird. Und nicht 500 Kilometer weiter, wo man kleine Menge davon mit dieselgetriebenen LKW mühsam hintransportieren und mit hohem Energieaufwand lagern und in Autos pressen muss.
TF104 schrieb:
Dazu muss die Infrastruktur her. Und diese ist sicher einfacher herzustellen als jede Steckdose im Land potentiell als Autoladestation fähig zu machen.
Ganz sicher nicht. Jede Steckdose in jeder Hütte
ist eine potenzielle Stromtankstelle. Dagegen ist selbst eine Wasserstoff-Infrastruktur, bei der man weiterhin spezielle Zapfstellen anfahren muss, reine Science Fiction.
Ich finde es erstaunlich, dass auch die ganz offensichtlichen praktischen Nachteile der H2-Betankung gerne zerredet werden. Das Hinfahren zu Zapfstellen wird offenbar mehrheitlich noch immer als die Technik der Zukunft betrachtet, weil man das halt seit 100 Jahren so macht und gerne an liebgewonnenen Gewohnheiten festhält. Tanken ist geil? Ernsthaft?
Das kann man mit einem E-Auto natürlich auch machen und auf Langstrecke geht es auch nicht anders. Aber die Grundidee im BEV-Alltag ist das Destination Charging. Das heißt, man betankt sein Auto dort, wo und während es sowieso ungenutzt herumsteht. Mir erscheint das sinnvoller und weit naheliegender als das Anfahren von Tankstellen. Egal welcher Tankstellen.
TF104 schrieb:
Der techische Aufwand bleibt. Ohne Frage. Aber vielleicht gibt es auch da irgendwann eine andere Technologie.
Ja. Meine Ausführungen sollen nicht bedeuten, dass die H2-Probleme dauerhaft völlig unlösbar sind und es bei der E-Mobilität gar keine gibt. Weder das eine noch das andere ist zutreffend.
Nur wenn ich eben beides miteinander vergleiche (Thread-Titel) und auch meine eigenen Erfahrungen betrachte, komme ich zu dem Schluss, dass die direkte umwegfreie E-Mobilität sehr viel schneller und besser umsetzbar, naheliegender, einfacher und vor allem um Faktoren effizienter ist. Zumindest wenn es um den Antrieb von PKW geht.
Ich möchte noch einmal einen etwas älteren Beitrag wiederholen, der meine Gedanken dazu zusammenfasst:
- Geht es in Diskussionen oder Studien um Elektro-Autos, wird der Strommix oder Schlimmeres bemüht. Atomstrom, Kohlekraftwerke - ganz böse umweltschädliche Stromerzeugung, und der Transport verschandelt die Landschaften.
Geht es aber um die Erzeugung und den Transport von Wasserstoff, was Unmengen an Energie verschlingt und Well-to-Wheel so absurd ineffizient ist, dass man nur mit dem Kopf schütteln kann - dann ist das alles kein Problem, denn das erledigen wir mit Strom aus Wind und Sonne.
- Geht es um das Handling, dann wird Strom als problematisch dargestellt. Als gebe es kein Stromnetz, keine Steckdosen, gar nichts, als müsse man bei Null anfangen.
Wasserstoff aber, wo man tatsächlich bei Null anfangen muss, dessen Erzeugung, Lagerung und Transport höchst aufwändig, energieintensiv und teuer ist, macht da viel mehr Sinn? Mit Tankstellen, die Millionen kosten, nicht umsonst 350 kW Anschlussleistung haben und nur drei Autos pro Stunde schaffen?
Das verstehe wer will. Das kann nur ernst gemeint sein, wenn man ganz weit in die unsichere Zukunft blickt und - wie Toyota - felsenfest von einer auf Wasserstoff basierenden
Energiewirtschaft überzeugt ist. Ich habe Zweifel, dass sich das bei uns auf breiter Front in diese Richtung entwickeln wird.
Andererseits sind die konzertierten Bemühungen, die Elektromobilität zu verhindern, seit Jahrzehnten sehr erfolgreich. Es bleibt also noch viele Jahre Zeit, bis der Fahrzeugbestand auch nur auf 95 Prozent Verbrenneranteil gesunken ist. Und damit gibt es auch genug Zeit, das ganze in eine andere Richtung zu lenken.
Grüße, Egon